Im Rahmen meiner Anstellung am Institut für Public Health der ZHAW durfte ich im Auftrag der Allianz Gesundheitskompetenz ein Forschungsprojekt zur Gesundheitskompetenz bei Menschen in schwierigen Lebenslagen in Co-Leitung durchführen. Um ein Verständnis von herausfordernden Lebenslagen und deren Einfluss auf die Gesundheitskompetenz zu erlangen, wurden zunächst Interviews mit Vertreter:innen sozialberatender Organisationen durchgeführt (Caritas, Schweizerisches Rotes Kreuz, Interinstitutionelle Zusammenarbeitsstelle Kanton Zürich). Um den individuellen Bedarf zu erheben, führten wir anschliessend leitfadengestützte Interviews mit 12 Klient:innen dieser Organisationen durch. Die Erkenntnisse aus diesen Interviews wurden dann in einer Fokusgruppe mit den Vertreter:innen der sozialberatenden Organisationen diskutiert. Neben dem Verstehenlernen der besonderen gesundheitsspezifischen Herausforderungen von Menschen in schwierigen Lebenslagen ging es darum, den Bedarf für eine Förderung der Gesundheitskompetenz herauszuarbeiten und die Rolle von sozialberatenden Institutionen dabei zu reflektieren.

Ansätze zur Förderung von Gesundheitskompetenz

Klient:innen von sozialberatenden Organisationen sind oft sozial und gesundheitlich stark belastet. Für einige Problembereiche (z.B. psychische Gesundheit, finanzielle Belastung) konnten Aspekte herausgearbeitet werden, die eine gesunde Lebensführung erschweren (z.B. Perspektivenlosigkeit, überfordernde Kinderbetreuung, Corona) oder erleichtern (z.B. sozialer Austausch, Respekt und Verständnis, Tagesstruktur). Daraus konnten sowohl Ansatzpunkte für individuelle Unterstützungsangebote abgeleitet werden, zum Beispiel zur Stärkung von sozialen Netzen oder im Umgang mit Behörden, als auch Ansatzpunkte für strukturelle Veränderungen, die mit der Förderung individueller Gesundheitskompetenz Hand in Hand gehen müssen. In den Klient:inneninterviews war beeindruckend zu sehen, über welche Kompetenzen Menschen verfügen (müssen), um ihr Leben unter teils sehr schwierigen Bedingungen meistern zu können, ohne dabei krank zu werden, und welche kreativen Strategien sie dabei anwenden. Es hat sich gezeigt, dass die Ausweitung des Begriffs der Gesundheitskompetenz in Richtung Lebenskompetenz konzeptionell spannend ist, aber auch mit Schwierigkeiten verbunden. Es besteht die Gefahr, dass jegliche Kompetenz als Gesundheitskompetenz verstanden wird, die Abgrenzung zwischen der Gesundheitsförderung und der Sozialen Arbeit verwischt und der Gesundheitskompetenzbegriff verwässert. Diesbezüglich zeigt sich weiterer Klärungs- und Definitionsbedarf.

Schlussbericht: Wieber, F., Ackermann, G., Juvalta, S., Marti, S. (2021). Gesundheitskompetenz in herausfordernden Kontexten. Eine Bedarfsanalyse zur Förderung der Gesundheitskompetenz bei Menschen in schwierigen Lebenslagen durch sozialberatende Stellen. Schlussbericht zuhanden der Allianz Gesundheitskompetenz. Link